Ich war in diesem Jahr das erste Mal auf der Frankfurter Buchmesse. Einen ganzen Tag habe ich für dieses Event reserviert und das, obwohl ich im Oktober keine Termine frei habe. Doch es war mir sehr wichtig, nachdem ich mich ein Jahr lang als Autorin in die sozialen Medien eingearbeitet habe, einen Eindruck von der Frankfurter Buchmesse zu gewinnen. Mein Interesse war vielschichtig und ich hatte einen Plan, welcher Artikelthemen ich mich annehmen will.
Mein Messebesuch war fantastisch. Von elf bis achtzehn Uhr war ich am Samstag an der Seite von Eva-Maria Obermann auf dem Gelände unterwegs. Es gab so viel zu sehen, dass ich zwischenzeitlich von den Eindrücken erschlagen war. Ich merkte schnell, dass es die Fachbesuchertage nicht ohne Grund gibt, denn in dem Gewühl, das am Wochenende in den Hallen herrscht, ist es so gut wie unmöglich, Recherche zu betreiben und sich Zeit für ein entspanntes Gespräch zu nehmen.
Am wertvollsten erschien mir in dieser Hinsicht tatsächlich die Zeit, die wir pausiert haben. Während Eva für eine Widmung von Valeria Docampo anstand, habe ich in Ruhe die Menschen um mich herum beobachtet. Die Vielfalt der Stände war mir schon aufgefallen. Aber auch die Besucher waren von überall hergekommen. Eltern hatten ihre Kinder dabei, und unter ihnen war nicht nur das klassische Familienmodell, Freunde jeden Alters waren zusammen unterwegs, Menschen in Kostümen tummelten sich dazwischen und ich hörte viele verschiedene Sprachen. Die Stimmung war offen und frech. Gerade in Anbetracht dessen, dass ich mir der kontroversen Diskussion über die Verlage, die der rechten Szene zugeordnet werden und ebenfalls auf der Messe einen Standplatz erhalten hatten, bewusst war, haben mich die schönen Eindrücke versöhnt.
Ich fuhr in der Gewissheit nach Hause, dass ich einen Artikel über genau dieses Thema schreiben will: Bücher sind bunt und das ist die Messe auch.
Kaum war ich Zuhause angekommen und wollte meine Fotos online stellen, las ich die ersten Mitteilungen zu den Ausschreitungen, die kurz nachdem ich gegangen war, losgegangen sein müssen. Ich las den Namen Höcke und runzelte irritiert die Stirn. Politik auf der Buchmesse? Dann folgte die offizielle Stellungnahme der Messeleitung, und ich fiel aus allen Wolken. Da kommt es zu gewalttätigen Übergriffen und die Reaktion dazu ist, wir verurteilen das, aber waschen unsere Hände in Unschuld? Wer tolerant sein will, der muss auch andere Meinungen tolerieren, ist das Entschuldigungsmäntelchen, in das die Verantwortlichen schlüpfen. Doch ist ihnen nicht bewusst, dass sie ihre Grundsätze aushebeln, wenn sie Messeteilnehmer zulassen, die sich aggressiv gegen Toleranz stellen? Toleranz ist nicht unendlich. Sie endet dort, wo die Intoleranz beginnt. So ist es auch mit der freien Meinungsäußerung. Sie entschuldigt keine Straftaten. Beleidigungen und Hetzreden fallen nicht mehr unter den Schutz des Grundgesetzes und das aus gutem Grund, denn ohne Grenzen herrscht Anarchie.
Die Messeleitung hat sich bewusst dazu entschieden, diese Grenzen nicht einzuhalten. Stattdessen wird Menschen eine Bühne geboten, die vor Gewalt nicht zurückschrecken. Das ist keine Toleranz mehr, sondern Förderung rechtsradikaler Inhalte.
Ich kann meinen Artikel zur bunten Buchmesse nicht mehr schreiben und ich will es auch nicht. Denn das Schlimme daran ist, dass es schon von Beginn an falsch war. Wie können wir uns für unsere Toleranz und Offenheit selber auf die Schulter klopfen, wenn zugelassen wird, dass direkt neben uns Angst und Hass geschürt werden. Was nun?
Die Frankfurter Buchmesse 2017 ist vorbei. An dem, was dort geschehen ist, können wir nichts mehr ändern. Aber wir können daraus etwas lernen. Es ist an uns, dem Hass keine Bühne zu geben, weder auf der Buchmesse noch außerhalb. Wir dürfen nicht schweigen. Gerade in Anbetracht dessen, dass Bilder von der Frankfurter Buchmesse auf einschlägigen rechten Profilseiten dazu genutzt werden, gezielt nach der Identität vermeintlich linksradikaler Personen in der Menge zu suchen, als wären wir kurz davor, die SS wieder auf die Straßen zu schicken. Liebe FBM Leitung, das muss doch endlich mal Konsequenzen haben.
Was die Buchmesse 2018 angeht: Sollte die Messeleitung auch dann wieder Verlage mit rechtsradikalen Inhalten zulassen, müssen wir zusammenfinden.
Schon dieses Jahr hatten wir im Nornennetz überlegt, uns zu einem Flashmob zu formieren und zu singen. Wir wollten so unseren Protest gegen Hass und Gewalt zum Ausdruck bringen. Genau das sollten wir alle 2018 tun, so laut singen, dass der Hass nicht mehr zu hören ist. Singen statt schreien. Denn die Messe gehört den Büchern und nicht der Gewalt.
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