Was lange währt, tut richtig weh.

Wo beginnen, was erzählen? Dieser Artikel ist keine leichte Sache. Trotzdem möchte ich ihn schreiben, weil ich darauf hoffe, mit ihm Mut machen zu können, wenn alles hoffnungslos scheint. Außerdem möchte ich erklären, was los war.

Einigen von euch ist aufgefallen, dass ich im letzten Jahr immer stiller wurde und irgendwann kaum noch auf etwas geantwortet habe. Das lag nicht an den aus dem Ruder laufenden Diskussionen. Die habe ich nur am Rand mitbekommen. Social Media Arbeit wurde für mich aus anderen Gründen nahezu unmöglich. Jede Interaktion fühlte sich wie eine Bergbesteigung an. Ab einem gewissen Zeitpunkt im letzten Jahr bin ich nur noch auf Notstrom gefahren und selbst das ging an manchen Tagen nicht mehr.
Der Grund dafür ist so kompliziert, wie simpel. Ich bin krank und das schon seit zehn Jahren. Seit ich 29 Jahre bin, befinde ich mich in den Wechseljahren; eine Vermutung, die ich schon ganz zu Beginn meiner körperlichen Probleme äußerte. Allerdings sah sich keiner meiner Ärzte in der Lage, eine Diagnose zu stellen. Meine Tests seien alle ohne Befund. Die Rechnungen für Untersuchungen waren dafür umso enthusiastischer ausgestellt.
Vor einem Jahr begannen sich meine Symptome dann zu häufen. Mein Immunsystem bröselte zusammen, Entzündungen gingen nicht mehr weg, mein Gedächtnis war plötzlich lückenhaft und meine depressiven Schübe wurden so heftig, dass ich erst das Haus und dann das Bett nicht mehr verlassen konnte. Ich habe kaum noch mit jemandem gesprochen.
Mein Mann war unermüdlich an meiner Seite. Jedes Mal, wenn es so aussah, als würde mir endlich jemand helfen, wurde ich wieder darum gebeten, mich an jemand anderen zu wenden. In einem Zustand vollkommener Erschöpfung war dieser Kampf um eine Diagnose der Horror.
Was mir am meisten zu schaffen machte, waren die Depressionen, die mich veränderten. Von Natur aus bin ich ein positiver Mensch. Mein Glas ist immer halb voll. Plötzlich war ich nur noch traurig. Ich konnte keine Perspektive mehr sehen, hielt das Versagen für ein Grundprinzip unserer Welt. Dabei war mir der Logik nach durchaus bewusst, dass ich das unter früheren Umständen niemals so gesehen hätte. Ich wusste, dass es rational gesehen keinen Grund gab, wegen eines umgefallenen Buches in Tränen auszubrechen. Doch das Leben wog so schwer und drückte mich ganz langsam zu Boden. Ich war wie ein Frosch im Topf, dessen Wasser langsam zum Sieden gebracht wurde. Keine Hilfe zu bekommen, als stünden alle nur um den Herd herum und sähen mir beim innerlichen Verbrennen zu, war eine Qual.
Letztendlich habe ich im März eine Ärztin gefunden, die sich in der Lage sah, die frühzeitige Menopause zu diagnostizieren und mir eine entsprechende Therapie zu verschreiben. Warum vor ihr niemand die Diagnose stellen wollte, ob wohl sie sogar auf den Befunden der Bluttest drauf stand, wie ich erfuhr, kann ich nur vermuten. Frühzeitige Wechseljahre sind ein Problem, dass nur einen geringen Teil der Bevölkerung betrifft. Noch dazu ist es eine Störung, die mit dem weiblichen Geschlechtsapparat zusammenhängt, ein Themengebiet, dass noch immer unter vorgehaltener Hand thematisiert wird. Die Ursachen für frühzeitige Menopausen werden häufig nicht gefunden. Noch immer weiß man wenig darüber. In der Packungsbeilage meines Hormonpräparats steht grob überrissen: Wenn sie dieses Medikament wegen frühzeitiger Menopause nehmen, dann können wir ihnen leider wenig sagen.
Die Medikation kam in jedem Fall gerade rechtzeitig für die Leipziger Buchmesse. Kurz vor Beginn meiner Therapie hatte ich noch befürchtet, dass ich die Reise nicht schaffen würde. Das Präparat wirkte so gut, dass ich bereits nach zwei drei Tagen wieder lachen konnte. Das mag albern klingen, aber ich hatte Monate lang keinen Zugang mehr zu dem Gefühl der Freude. Wenn ich mich dazu bringen konnte aus dem Bett zu kriechen, dann funktionierte ich wie ein leckgeschlagener Roboter. Jeder Schritt war so schwer, als hingen Gewichte an mir und dementsprechend habe ich ständig geweint. Das Leben selbst tat weh.
Jetzt war ich plötzlich wieder glücklich. Ich stand morgens auf, bin mit den Hunden spazieren gegangen, habe meinen Kindern Essen gemacht und war danach tatsächlich nicht vollkommen fertig. Ich bin voller Freude nach Leipzig gefahren und dachte, jetzt wäre endlich wieder alles gut. Daher war ich etwas überrascht, als ich am Donnerstag vor dem Messestart und am Sonntag früh, vor dem Verlassen der WG, in Tränen aufgelöst war. Meine Kolleginnen Anne Zandt und Holly Miles mussten mich daran erinnern, dass ich die Medikamente noch nicht lange nehme und es okay ist, nicht zu können.


Wieder Daheim musste ich mich der Realität stellen. Ich habe ein Resümee vom letzten Jahr gezogen, mir einen Tag Ruhe gegönnt, nachdem ich realisiert habe, dass meine Verkäufe durch meine minimalisierte Arbeitsweise eingebrochen sind. Das ist hart, denn dadurch ist die Finanzierung meiner nächsten Projekte in Gefahr. Aber davon möchte ich mich nicht aufhalten lassen. Ich bin Autorin mit Leib und Seele und möchte als solche wieder durchstarten. Dieser Artikel ist mein erster Schritt auf diesem Weg. Doch ich kann nicht einfach da anknüpfen, wo ich aufgehört habe. Ich bin nicht mehr der gleiche Mensch. Die Depressionen haben einschneidende Veränderungen in meinem Ich hinterlassen. Sie werden mich nie wieder ganz verlassen und ich muss lernen, mit ihnen zu leben. Als unsichtbare Einschränkung stoßen sie oft auf Unverständnis. Sie sind wie Naturkatastrophen im Inneren und man kann sie nur wirklich nachfühlen, wenn man dabei war.

Worauf ich hoffe, wenn ihr bis zu diesem Punkt gelesen habt, ist folgendes:
Ich möchte mich bei all den tollen Menschen bedanken, die im vergangenen Jahr mit mir gearbeitet haben. Ihr habt mein Autorenfloß daran gehindert unterzugehen. Ohne euch hätte ich das nicht geschafft.
Außerdem hoffe ich, dass ihr, wenn ihr mal in eine ähnliche Situation kommt und denkt, dass alles hoffnungslos ist, euch an meine Worte erinnert und spürt, dass ihr nicht alleine seid. Vertraut auf euer Bauchgefühl und gebt nicht auf, egal was andere sagen.

Ich für meinen Teil, werde mich ein Stück weit neu erfinden und freu mich darauf, dass ihr an meiner Seite sein werdet.