Litcampboogie – Litcampblues

Als Autorin besuche ich die verschiedensten Veranstaltungen, seien es Messen, Lesungen oder Autorentreffen. Doch keine Veranstaltung gefällt mir so gut, wie das Litcamp in Heidelberg. Seit dem Litcamp17 werde ich jährlich Teil des Camps. Es ist jedes Mal eine andere Erfahrung und trotzdem immer von diesem einzigartigen Gefühl der Gemeinschaft beseelt. Es ist wie die Verschmelzung vom Beruf mit einem Wohlfühlferienerlebnis. Die Menschen sind offen, entspannt und man kann sich überall dazusetzen, mit jedem reden. Ich liebe es und so lange das tolle Orgateam das Litcamp weiter schmeißt, werde ich auch jedes Jahr wieder dabei sein.

Dieses Jahr war es sehr interessant zu sehen, wie die gesellschaftlichen Schwerpunkte Einzug in die Hashtags der Vorstellungsrunde und auch in die Sessionangebote gehalten haben. Nach den Shitstorm-Runden bei Twitter gab es nicht wenige deren Hashtag #NoTwitter oder ähnlich lautete. Das zweite spürbare Interesse galt der Nachhaltigkeit: #KeinPlastik, #wenigerMüll.

Dieses Jahr war ich in Begleitung von Anne Zandt aka Poisonpainter. Als Nornen haben wir gemeinsam eine Session zu Eventmanagment gehalten: „Wie macht ihr euren Messestand geil“. Teile des Sessioninhalts könnt ihr im Nornenblog nachlesen.
Das war meine erste Sessionleitung überhaupt und ich bin überrascht, wie leicht es dann doch war, sie zu halten.

Welches Wissen habe ich mitgenommen?

Die Sessions sind für mich eine einzigartige Methode, um einander das eigene Wissen weiterzugeben. Jeder teilt, was er kann und die Teilnehmer picken sich raus, was sie aufnehmen wollen. Nie ist es leichter zu lernen und zu lehren, finde ich.

Samstag

Session 1

Zuerst erklärte uns Heiko von Teekesselchen „Smaltalk für Introvertierte“. Smaltalk ist der leichteste und gebräuchlichste Einstieg in eine Unterhaltung. Er gab uns drei Tipps mit auf den Weg.

Tipp 1

Wenn man ein Gespräch eröffnet, sollte man immer eine Selbstoffenbarung einbauen, damit das Gegegnüber verschieden Möglichkeiten hat, ins Gespräch einzusteigen. „Das ist vielleicht ein Wetter.“ vs. „Starken Regen mag ich nicht. Als ich aus X hierherzog, war es wegen des Sonnenscheins.“ Das Gegenüber kann auf die Abneigung zu Regen eingehen oder auch auf den Umzug.

Tipp 2

Suche dir eine Einzelperson oder eine Gruppe mit ungerader Personenanzahl, wenn du in ein Gespräch einsteigen möchtest. Gruppen mit einer geraden Personenanzahl öffnen sich Neuankömmlingen eher nicht, da sich immer zwei in die Augen schauen können. Bei einer ungeraden Zahl müsste einer übrig sein, den man für sich erobern kann.

Tipp 3

Nicht nur erobern, sondern auch loswerden ist eine Kunst. Wenn du nicht mit jemandem sprechen möchtest, dann ist die eleganteste Methode ihn abzuwimmeln, indem man ihn an jemand anderen weitergibt. „Ach, schau, sie schreibt auch Sci- Fi. Ihr habt bestimmt viel zu besprechen.“
Die Toilette ist kein Fluchtziel, dorthin könnte der unliebsame Gesprächspartner folgen. Und wir wissen ja aus Filmen, auf dem WC hängt man nur rum, wenn man jemanden zusammenschlagen oder ermorden will. Wer erledigt da schon ein Geschäft?

Session 2

In meiner zweiten Samstagssession sprach Babsi aka BlueSiren über Kritik und wie wir damit umgehen können.

Wir sollten zwischen konstruktiver Kritik, aus der wir lernen können und Kritik für die Tonne unterscheiden. „Finde ich blöd“, hilft nicht weiter. Weg damit.

Kritik kann wehtun und unangenehm sein. Babsi verglich es mit einem Wollpulli von Oma. Der Vergleich gefiel mir hinsichtlich der Reaktionskontrolle sehr gut. Nur weil uns das Geschenk nicht gefällt, schmeißen wir es Oma nicht ins Gesicht: „Den Scheiß will ich nicht.“ Wir sagen stattdessen Danke, weil sie sich Mühe gegeben und an uns gedacht hat. So sollten wir auch mit Kritik umgehen.

Wenn wir mit Kritik nicht gut umgehen können, auch wenn sie hilfreich wäre, dann sollten wir an unserem Selbstwert arbeiten. Die kleinen Tricks und Kniffe, um sich selbst aufzubauen, kennen wir alle. Wir nutzen sie nur oft nicht, weil sie nicht sofort Wirkung zeigen. Hier gilt es Langzeitnutzen für sich selbst anzupeilen.

Session 3

Die dritte Session, die ich am Samstag besucht habe, drehte sich um neue Plattformen. Die Sessionleiterin wollte uns mojoreads vorstellen. Sie hat einige sehr schlaue Dinge darüber gesagt, wie Benachteiligungen entstehen, sich halten und zu toten Winkeln werden, die wir nicht mehr wahrnehmen bzw. für normal halten. Ich habe vom Session Inhalt allerdings etwas anderes erwartet und wusste nicht so genau, ob sie uns eine Plattform vorstellen oder Lösungswege zur Aufhebung der Ungleichheit aufzeigen wollte. Die Verbindung zwischen beidem und der Zielpunkt fehlte mir, so dass ich nicht ganz weiß, was ich aus dem Vortrag mitgenommen habe.

Session 4

Richtig spannend war die Session zu Diversität und Minderheiten bei Alex (bei Twitter als @KaenKazui) und Kai (bei Twitter als @Silberfederling). Wenn wir 100 Leute als Vergleichsgruppe nehmen, wie viele davon sind dann weiß und heterosexuelle, wie viele sind LGBTQ oder PoC. Wir sehen die Welt immer durch den Filter unserer eigenen Veranlagung, das ist aber kein Spiegel der Realität.

Session 5

Zum Schluss haben Anne und ich im Keller unsere Eventsession gehalten. Es war eine sehr nette und engagierte Runde. Nachdem wir all unseren Elan und unsere Tipps zu Verhalten am Stand und Möglichkeiten hinderlichen Stolpersteinen aus dem Weg zu gehen, weitergegeben haben, entstand ein reger Austausch. Gut, dass es die letzte Session vor der Abendplanung war, wir haben maßlos überzogen.

Die Abendsessions haben wir sausen lassen. Die Temperaturen und der soziale Überfluss an Input haben mich ausgeknockt.

Sonntag

Am Sonntag kamen wir früher, um beim Aufbau zu helfen. Tische hinstellen, Müllsäcke kleben, was eben so anfällt. Diese Art der Mitwirkung mag ich sehr. Das unterstützt das Teamgefühl auf dem Camp, das ich so schätze.

Beim Frühstück gab es eine Schlacht um den Antipastiaufstrich und Zippi (bei Titter als @JZipperling) wollte alle Teilnehmer mit Haken bearbeiten.

Session 1

Die erste Sonntagssession war gleich eine sehr gute. Es ging um Testleser. Was sollte ein Testleser beachten? Was sollte der Autor beachten? Das fand ich sehr interessant und ich habe einiges gelernt.

  • Drei bis vier Testleser sind ideal. Eine ungerade Zahl verhindert ein Meinungspatt.
  • Mindestens drei Wochen Zeit geben. Drei Monate sind zu viel.
  • Autor und Testleser sollten zueinander passen.
  • Kritik sollte konstruktiv sein, so dass der Autor daraus auch etwas machen kann
  • Positives Feedback, wenn etwas gefällt, sollte nicht vergessen werden
  • Rechtschreibfehler sind beim Testlesen nicht relevant und lenken von der eigentlichen Aufgabe ab

Es ist ein feiner Grad den Input der Testleser zu Plottentwicklung und Charakterdesign anzunehmen und gleichzeitig darauf zu achten, dass die eigenen Intentionen nicht wegschwimmen. Testleser können Charaktere davor retten, unsympathisch zu sein, wenn sie anders wirken, als gedacht. Wenn sie sehr früh am Text sind, können sie aber auch unterschwellig viel Einfluss nehmen.

Je nach Testleser kann es hilfreich sein, Fragebögen zu erstellen. Vor dem Lesen können Erwartungen abgefragt werden und hinterher die Highlights und Langeweilephasen. Je mehr Arbeit ein Autor in die Gestaltung der Testlesungen steckt, umso mehr bekommt er für gewöhnlich auch wieder raus.

In jedem Fall machen sich Testleser viel Arbeit und genauso wie sie würdigen sollten, welche Leistung es ist, ein ganzes Buch fertig zu schreiben, sollte ihre Arbeit auch gewürdigt werde. Zumindest in der Danksagung müssen sie erwähnt werden.

Session 2

Auch die nächste Session war sehr lehrreich. Es ging um Stereotype-Tests. Wie kann ein Autor prüfen, ob er keine Tropes einbaut. Frauen, LGBTQ und PoC sollten endlich keine Begleiterscheinungen des Plotts weißer Männer mehr sein.

Genannt wurden unter anderem der Bechdel Test, der Mako Mori Test und der Vito Russo Test. Außerdem hatte Victoria (bei Twitter als @VictoriaLinnea1) noch einen entsprechenden Test für PoC, den sie selbst entworfen und an die anderen Test angelehnt hat. Der Test heißt für alle Zeiten der „Voctoria Linneas Test“ ^^ und ich hoffe sie schreibt einen Artikel dazu. Die Session war so informativ, dass ich mit dem Notieren gar nicht nachkam. Ich werde mir definitiv den Stream dazu nochmal angucken.

Einschub

Auf dem YouTube Kanal des Litcamps Heidelberg könnt ihr auch nochmal die Sessions von 2017 und 2018 angucken.

Session 3

Zur Mittagszeit lauschte ich der Session, wie historisch Fantasy ist, von Marie (bei Twitter als @SFantastisch). Oft beziehen sich Fantasyromane auf historische Quellen, die selbst schon Fantasy sind, wie die Artussage. Das als historisch korrekt anzusehen, passt nicht. Der wesentliche Inhalt dieser Session war, die Aufklärung über fälschlicherweise dem Mittelalter zugewiesene Ereignisse und Klischees und dem Appell, es nicht als historischen Zwang auszugeben, sexuelle Gewalt einbauen zu müssen.

Protipp: Labelt eure Bücher korrekt und steht zu dem, was ihr als Element einbaut.

Schlusswort

Damit war das Litcamperlebnis leider auch schon fast vorbei. Die letzte Session für mich war die Abschlusssession. Dann haben wir noch beim Abbau geholfen. Meine letzte Tat, war die Erlegung des Einhorns. Ich bereue nichts. ^^

Ich hatte wieder sehr viel Spaß auf dem Litcamp und möchte auch nächstes Jahr wieder ein Teil davon sein. Es war schön euch alle zu treffen. Besonderen Dank an die Sponsoren und dem Frühstücks- und Mittagscatering, denen der Erfolg der Veranstaltung ebenso zuzurechnen ist, wie dem Orgateam. Ihr habt das großartig gemacht.

Es war ein Fest.

Pläne für nächstes Jahr:
Das Handy nicht vergessen und mehr Fotos machen.