Der Kampf um Gleichberechtigung hat sich verändert, aber er tobt nach wie vor. Trickreich ist der Fakt, dass die Ebene, auf der um Gleichstellung gerungen wird, mittlerweile subtil ist, so dass bei manchen Menschen der Gedanke aufkommt, es müsse nichts mehr erstritten werden. Frauen dürfen selbst entscheiden (in vielen Ländern, aber längst nicht allen), sie dürfen arbeiten, sich scheiden lassen und wählen. Das sind die Grundlagen, um die sich Emanzipation zu Beginn drehte, die nicht übersehen werden konnten, obwohl man es versuchte. Heutzutage geht es längst nicht mehr um Grundfragen, sondern um die kleinen Selbstverständlichkeiten, die so unscheinbar sind, dass viele sie gar nicht wahrnehmen. Es geht um unsere Betrachtungsweise der Geschlechterrollen – was bei weitem nicht nur Frauen betrifft.
Der allgemeine Eindruck in Deutschland ist der, dass wir eine aufgeklärte Gesellschaft sind. Frauen müssen nicht mehr an den Herd, Männer können dem Familienleben den Vorzug geben. Doch das sind Oberflächlichkeiten, die kaum irgendwo in die Tiefe reichen. Ich möchte jetzt keine umfassende Analyse beginnen, wie wenig der Alltag und die gesellschaftlichen Regeln die Rollenfreiheit unterstützen. Mir geht es in diesem Beitrag speziell um die Darstellung von Mädchen und Frauen in Romanen. Mit dem Wandel der Geschlechterrollen, sollten sich eigentlich auch die Beschreibungen von Figuren und ihren Interaktionen miteinander verändert haben. Die „starke Frau“ ist seit geraumer Zeit Thema in der Literaturwelt. Doch wenn ich Bücher lese – vor allem die Mainstreamprodukte – fallen mir zwei Dinge besonders auf.
Als moderne Liebesromane werden Konzepte gefeiert, die bis ins krankhafte gesteigerte Obsessionen und Nötigung jenseits von Gleichstellung und respektvollem Miteinander als erstrebenswert und romantisch darstellen. Es spricht nichts dagegen so ein Thema zu wählen. Die Unterdrückung der Frau als zartes Wesen durch einen gefährlichen und zudringlichen Mann als Vorlage für typische Liebesgeschichten zu hypen, ist allerdings etwas ganz anderes. So ein Vorgehen verfestigt überholte Rollenbilder, in denen Männer den Ton angeben müssen und Frauen folgen, egal wie krankhaft das Verhalten des Mannes ist. Liebe rechtfertigt dabei jede Erniedrigung. Das Problem an der Benutzung dieser Rollenbilder in Romanen ist die Übertragung in unser Alltagsdenken. Ohne, dass wir es wollen, nehmen Filme und Bücher erheblichen Einfluss darauf, was wir für „normal“ halten und was nicht. Selbst reflektierte Leser können sich dieser exzessiven Beschallung nicht gänzlich entziehen.
Was meiner Meinung nach ebenfalls ein großes Problem ist, sind die vermeintlich starken Frauenrollen. Diese Figuren vermitteln dem Leser, dass Frau alles mitbringt, was heutzutage als selbstbestimmt und frei gilt. Sie trägt Waffen, sie kämpft, trifft Entscheidungen, wehrt sich gegen Ungerechtigkeit, führt an. Oftmals sind diese Charaktere Täuschungen. Zum einen bedeutet Stärke nicht um sich zu schlagen. Zum anderen verfallen viele dieser Figuren in Liebesstarre, wenn sie sich in einen Mann vergucken. Im letzten Monat laß ich zwei dystopische Trilogien mit jugendlichen Heldinnen. In dem Moment, wo sie sich verliebten, schrumpften die Frauen plötzlich, als hätten sie Alices magischen Pilz gegessen. Sie müssen aufsehen, um den Männern ins Gesicht blicken zu können, es wird betont wie groß die männlichen Hände sind und man darf ihre Muskeln nicht vergessen. Natürlich ist es dann er, der die sie immer wieder rettet, denn so gehört es sich nun einmal. Es ist wie eine verklärte Schwarzweißfilm Darstellung, bei der der Protagonist extra auf eine Kiste steigt, damit er die Heldin von oben herab küssen kann. Wir nehmen diese sich ständig widerholende Darstellung von Geschlechterrollen auf und reproduzieren Teile davon unbewusst.
Gerade bei den beiden dystopischen Trilogien stach die Unstimmigkeit dieser Konstruktion heraus. Die Protagonistin ist als entschlossener, selbstständiger Charakter angelegt und so lange kein Mann in Sicht ist, füllt sie diese Rolle auch aus. Aber in den Moment, in dem Gefühle aufkommen, wird sie beinahe unmündig, stellt dem Herrn die Kiste im übertragenen Sinne quasi hin, damit er draufsteigen und von oben herabblicken kann. Das sind Rollenklischees, ein Rückfall aus der eigentlich angedachten gleichberechtigten Frauenrolle.
Diese Sichtweise bleibt nicht im Buch, sie kommt wie Magie heraus und überträgt sich auf unser Alltagsdenken. Erst letzthin verfolgte ich eine Unterhaltung in den sozialen Medien, die zum Thema hatte, dass Männer größer sein müssen als Frauen, damit Beziehungen funktionieren. Ich war erstaunt darüber, wie viel Zustimmung diese These genoss. Aber wen wundert es, wenn fast ausschließlich diese Darstellung in Filmen, Büchern und anderen Medien verbreitet und in Dauerschleife wiederholt wird?
Die echte Heldin, die sich selbst zu helfen weiß, nicht zusammensackt, wie ein Ballon aus dem die Luft herausgelassen wird, sobald sie romantische Neigungen zeigt, ist immer noch selten. Jetzt könnte man es damit begründen, dass die Kunden es nun einmal so wollen. Sie sind von den Rollenbildern der guten alten Zeit verzückt. Da darf Sie auch mal mit einem Maschinengewehr aufgerüstet werden, wir sind ja nicht so antiquiert. Doch der Mann muss Größe zeigen. So gehört sich das. Ich stelle es mir für die Männer dieser Welt ganz schön anstrengend vor, ständig der Boss sein zu müssen – Überwachungstätigkeit, Einbruch und Züchtigung inklusive. Ist das nicht romantisch? Oder wird uns nur eingeredet, dass wäre das Idealbild der Romantik?
Es spricht, wie zuvor schon einmal erwähnt, nichts dagegen, auch solche Konzepte zu verfolgen – abgesehen von der Darstellung von übergriffigen Charakteren, die strafbare Handlungen vollziehen und deren Verhalten als akzeptabel präsentiert wird. Das Problem, um das es mir geht, ist die Dominanz des Klischeeverhaltens. Die Bevorzugung solcher Schubladencharaktere suggeriert, es wäre das erstrebenswerte und auf jeden zutreffende Rollenbild. Dadurch wird das Konstrukt weiter reproduziert, aufgenommen und gefestigt. Es ist ein Teufelskreis, der die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter behindert, Inklusion zur Seltenheit macht und Diversität als Randerscheinung wegwischt.
Alles in allem bin ich enttäuscht davon, wie wenig der Emanzipation im Alltag umgesetzt wird. Auch Bücher und zeitgenössische Liebesromane tragen einen großen Teil dazu bei, dass überholte Rollenbilder erhalten bleiben. Natürlich dürfen Frauen schwach sein und Männer stark, aber die Suggestion, dieser Zustand sei geschlechtsspezifisch festgeschrieben, hat eine retardierende Wirkung. Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Autoren (und Verlage) – vor allem von Liebesromanen – trauen divers zu gestalten, statt alte Folien wieder und wieder zu verwenden.
Ich für meinen Teil werde mich bei meinem eigenen Charakterdesign
noch intensiver damit auseinandersetzen.