„Standard Mann“ oder auch „Der Herzinfarkt der Frau“.

Zum Weltgesundheitstag ist es mir ein persönliches Anliegen, über Gender-Medizin zu sprechen. Wieso? Weil ich persönlich davon betroffen bin, dass die medizinische Forschung und der Ärzteapparat sich hauptsächlich für Studien an Männern und die männlich orientierte Versorgung von Patienten interessieren.

Schon vor Jahren wurde festgestellt, dass medizinische Forschung, Ausbildung und Behandlung dem Standart- Mann folgt. Wie so vieles in unserer immer noch sehr patriarchalen Welt, ist auch die Medizin männlich. Der Mann ist der Prototyp eines menschlichen Organismus. Doch das ist ein Problem, denn der weibliche Körper funktioniert anders. Das führt dazu, dass Medikamente für Frauen schlecht oder gar nicht wirken, teils sogar lebensgefährlich sind. Manche Krankheiten werden bei Frauen nicht erkannt oder falsch diagnostiziert.

Ein Grund für den Fokus auf männliche Probanden in der medizinischen Forschung und die daraus resultierende Grundlage einer am männlichen Geschlecht orientierten Medizinischen Ausbildung ist simpel und ergreifend: Die Vereinfachung.

Das beginnt schon beim Rollenbild. So hat Mann einfach mal angenommen, die Frau ist die kleine Ausgabe vom Mann und die Zellen sind gleich.

Außerdem ist der weibliche Körper diesen nervigen Hormonschwankungen unterworfen, die für Abweichungen bei den Ergebnissen sorgen. Es spart also schlicht und ergreifend Geld hauptsächlich an Männern zu forschen. Die Ergebnisse sind eindeutiger. So braucht es weniger Probanden und einen kürzeren Forschungszeitraum.

Und der Körper der Frau ist ein heiliges Gefäß. Immerhin kann sie neues Leben gebären. Nach der Contergan-Katastrophe (durch die schädliche Wirkung des Beruhigungsmittels kam es unter anderem zu einer Häufung von Fehlgeburten) wurden potenziell schwangere als Testpersonen für medizinische Forschung ausgeschlossen. In der Realität hieß das, Frauen wurden gar nicht mehr einbezogen, denn sie könnten ja zwischendurch schwanger werden. Dafür ist Frau ja immerhin da.

Das änderte natürlich nichts daran, dass Frauen anders auf Medikamente reagieren und der Bedarf an einer einbeziehenden Forschung, medizinischen Ausbildung und Behandlung bestehen blieb. Deshalb ruderten die Zuständigen in den 90ern wieder zurück. Oftmals wird davon geredet, dass Frauen jetzt Teil der Forschung sind. Auf dem Papier sehen die Regelungen auch schön aus, aber in der Praxis ist die Medizin immer noch hauptsächlich männlich.

Zwar wird verlangt, dass auch mit Frauen getestet wird, wenn das Medikament auch für Frauen bestimmt ist, aber bei einer Minimalstbeteiligung von 10% fehlt es bei vielen Medikamenten trotzdem an einem aussagekräftigen Ergebnis. Wie war das doch gleich mit den hormonell bedingten Ungenauigkeiten? Wie kann eine Studie als für Frauen aussagekräftig gelten, wenn die Ergebnisse bei Frauen eine größere Varianz aufweisen und der Anteil bei läppischen 10 % liegt?

Das Beispiel überhaupt für das Problem ist die Sterblichkeitsrate von Frauen an Herzinfarkten. Hier kommen alle drei Fehlerquellen bei der Nichtbeachtung des Geschlechtes in der Medizin sichtbar zusammen.

Ausbildung: Jeder kennt die Symptome von Männern beim Herzinfarkt. In Filmen wird es gerne gezeigt, der Schmerz im linken Arm. Frauen haben aber andere Symptome. Die sind kaum bekannt. Außerdem gilt der Herzinfarkt, trotz aller Statistiken, die dagegensprechen, immer noch als männliche Krankheit. So wird der Herzinfarkt bei Frauen selten erkannt.

Forschung: Die Dosierung von Herzmedikamenten ist an männlichen Durchschnittswerten orientiert. Das führt dann dazu, dass Frauen durch die Medikamente mit schwereren Nebenwirkungen rechnen müssen, bis hin zu einer höheren Todesrate.

Behandlung: Studien zur Nachbehandlung von Herzinfarkten belegen, Frauen haben eine höhere Sterblichkeitsrate als Männer. Sie bekommen viel seltener Rehabilitationsmaßnahmen verschrieben.

Unglaublich, dabei ist der Frauenanteil in der Medizin eher weiblich. Aber je höher der Posten, umso weniger Frauen sind dort zu finden. Sie arbeiten eher in den betreuenden Positionen als in den Chefetagen. So werden die Leitlinien hauptsächlich von Männern geschrieben.

Auch die Wahrnehmung des Berufs ist unterschiedlich. Betrachten die meisten Frauen die medizinische Tätigkeit als Aufgabe zur Erhaltung der Gesundheit (präventiv), ist sie für Männer ein Reperaturbetrieb (Schadensbehebung). Männliche Ärzte verschreiben öfter und in höheren Dosen Medikamente als weibliche Ärzte.

Die Studien zur Nachbehandlung von Herzinfarkten ergab auch, dass bei Frauen vor allem dann eine höhere Sterblichkeitsrate verzeichnet wurde, wenn sie einen männlichen Arzt hatten. Bei weiblichen Ärzten ist die prozentuale Überlebenschance besser, vor allem für Männer. Es ist ein Zwischenspiel von Erlerntem in der Ausbildung und dem Bemühen um präventive Erhaltung der Gesundheit, statt Symptombehandlung. Eine Veränderung des Bewusstseins für diese Unterschiede scheint noch nicht überall von Relevanz.

So hatte 2019 nur eine einzige medizinische Fakultät in Deutschland die Thematik der Geschlechterunterschiede in der Medizin als Pflichtfach. Es mangelt immer noch an der Bereitschaft die Unterschiede bewusst wahrzunehmen. Das ist dramatisch, denn wenn die unterschiedlichen Symptome keine Beachtung finden, stirbt ein Mensch.

Was mich persönlich betrifft: Die Ignoranz gegenüber der Auswirkungen meiner Hormonstörung hat schwere Folgen für mich. Wenn der Spiegel des schützenden Hormons Östrogen sinkt, kommt es zu Knochenschwund, Autoimmun-Erkrankungen, Rheuma, erhöhtem Herzinfarktrisiko. Mein Immunsystem kam zwischenzeitlich kaum noch mit den Anforderungen des täglichen Lebens klar. Ich hatte am laufenden Band Begleitkrankheiten wie Grippe, Scharlach und diverse Entzündungen. Mein Gedächtnis setzte aus und ich bekam schwere Depressionen. Trotzdem hat sich keiner meiner Ärzte in der Lage befunden meine Krankheit zu diagnostizieren. Nicht nur Krankheiten, die alle Geschlechter betreffen sind medizinisch zweitranging. Auch Krankheitsbilder, die speziell Frauen betreffen sind meist wenig erforscht. Wie zuvor schon beschrieben ist Forschung mit Frauen aufwendiger und kostspieliger. Aber nicht nur die Forschung und die Ausbildung der Mediziner führen dazu, dass Probleme wie meine keine Beachtung finden. Statistisch gesehen verläuft auch die Versorgung bei den Geschlechtern unterschiedlich. Frauen bekommen bis zu dreimal häufiger Psychopharmaka verordnet. Mir wollte der Arzt auch einfach Antidepressiva geben, statt die Ursache der Depressionen anzugehen. Wozu? Ist doch alles ohne Befund. Es war ein Kampf jemanden zu finden, der mir helfen wollte.

Genetik, Hormone, Rollenverhalten – der Unterschied ist groß. Ich habe es am eigenen Leib erfahren. Es ist wirklich an der Zeit, dass der Standard nicht mehr Mann sondern Mensch wird. Dazu müsste die weibliche Seite nicht nur in der Theorie berücksichtigt werden. Und die Praxiseinbeziehung würde nicht nur Frauen nützen. Statistisch gesehen leben Frauen länger als Männer und wählen andere Strategien, um ihre Gesundheit zu verbessern. Die Erforschung der weiblichen Physiologie und ihrer Schutzfaktoren könnte dabei helfen, Strategien zu entwickeln, aus denen neue Formen der Therapie abgeleitet werden. Davon profitieren auch Männer, denen solche Schutzmechanismen fehlen.

Quellen

Von 2003 https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/maennliche-medizin-kein-herz-fuer-frauen-a-238149.html

Von 2014 https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medizin-fuer-maenner-und-frauen-warum-medikamente-lange-nur-an-maenner-getestet-wurden/9285224-2.html

Von 2016 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/66613/In-klinischen-Studien-sind-Frauen-oft-unterrepraesentiert

Von 2019 https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2019-02/gendermedizin-gesundheit-aerzte-patient-medikamente-maenner-frauen-gleichberechtigung

https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/so-funktioniert-pharmaforschung/geschlechtsunterschiede-in-der-medikamentenwirkung.html

https://www.morgenpost.de/berlin/article216608777/Gender-Medizin-Der-Wissenschaft-fehlt-das-weibliche-Element.html

Von 2020 https://www.br.de/nachrichten/wissen/sind-frauen-bei-der-medizinischen-versorgung-im-nachteil,Rolixfm