Buchrezension – Die linke Hand der Dunkelheit

Die linke Hand der Dunkelheit von Ursula K. Le Guin

Klappentext: Die Bewohner des Planeten Gethen sind uns Menschen verblüffend ähnlich – mit einem Unterschied: Sie kennen keine zwei Geschlechter. In ihrer Kultur sind geschlechtsspezifische Machtkämpfe, wie wir sie kennen, nicht möglich. Doch es gibt andere Formen von Macht.

Genre: Science Fiction

Achtung, sensibler Inhalt! Folter, Gefangenschaft

An dieser Stelle möchte ich mich kurz bei all den Leuten bedanken, die Arbeit und Mühe in das Buch gesteckt haben. Unabhängig davon, wie ich das Buch persönlich bewerte, verdienen die künstlerischen Ambitionen Anerkennung. Dankeschön.

Cover

Da ich zu den Coverkäufern zähle, beschäftige ich mich auch mit der Frage, ob mich Cover ansprechen würden und zum Kauf verleiten.

Das Cover finde ich sehr langweilig. Es gibt in keinster Weise wieder, was im Buch steckt. Ich hätte mir das Buch aus optischen Gesichtspunkten nicht angesehen und halte die Möglichkeiten durch ein Cover zu werben für traurig vernachlässigt.

Inhalt

Genly wurde als Gesandter einer interplanetaren Gemeinschaft auf einen Eisplaneten Geschickt. Er soll die Bewohner davon überzeugen sich der Ökumene anzuschließen. Doch seine Binärität erschwert ihm den Zugang zur androgynen Gesellschaft und politische Positionen erweisen sich als gefährliche Fallstricke.

Gedanken beim Lesen

Diese Kritik hat nur am Rande etwas mit meinem Gesamturteil über das Buch zu tun. Es sind spontane Emotionen und Eindrücke.

Eine spannende Idee, eine menschliche Spezies, die androgyn ist und während der Paarung weiblich oder männlich wird.

Aber es irritiert mich, dass nicht nur Genly binäre Begriffe nutzt, sondern auch Estraven – einer der androgynen Einwohner des Planeten. Er spricht von Söhnen und Schicksal bestimmenden Männern. Dadurch wird die angeblich androgyne Gesellschaft als Patriarchat wahrgenommen. Das macht die ganze Idee zunichte, finde ich.

Der Begriff „Perverse“ für eindeutig binäre Gethenianer tut weh. Er ist aber durchaus logisch, wenn wir die ausgrenzende Herrschaft der Mehrheiten betrachten, über die menschliches Verhalten meist bestimmt wird.

Schade ist auch, dass gleichgeschlechtliche Liebe abgetan wird. Als wäre sie nicht von Bedeutung oder existiere in der Gesellschaft der meist Androgynen nicht.

Diese Verallgemeinerung, dass Männer ihre Männlichkeit beachtet sehen wollen und Frauen ihre Weiblichkeit bewundert. Als wäre es typisch, dass alle anderen 80 Planeten nur binäre Geschlechter kennen und alle der jeweiligen Gattung genau gleich empfinden. Das ist eine sehr schmalspurige Einstellung von einem Gesandten einer galaktischen Planetenvereinigung.

Wieso sollte es im Kemmerzustand keine Vergewaltigungen geben? Ich kann nachvollziehen, dass die konkreten Paarungszeiten dazu führen, dass außerhalb der Kemmerzeit keine sexuellen Ambitionen Vergewaltigungen begünstigen, aber innerhalb der Paarungszeit erschließt sich mir die Argumentation nicht. Als habe das Geschlecht einen allumfassenden, zwingenden Zusammenhang mit der Neigung anderen sexuelle Gewalt anzutun. Als wären nur Männer Vergewaltiger, nur Frauen Vergewaltigte und alle anderen Geschlechter zu keiner sexuellen Gewalt im Stande. Der Umstand, dass eventuell die gesellschaftliche Prägung der Vorstellung eines Geschlechts viel mehr mit der Bereitschaft zur Vergewaltigung zusammenhängt, als das Geschlecht an sich, wird meiner Ansicht nach hier vollkommen unterschlagen. Zumal die Gethenianer durchaus gewalttätig sind.

Die Behauptung, nur Menschen überfielen ihresgleichen in Banden, ist nicht ganz korrekt. Auch Schimpansen attackieren ihre Nachbarn organisiert und grausam, um sie auszulöschen. Wahr ist allerdings, diese Form der Vernichtung der eigenen Spezies betreibt darüber hinaus kein anderes bekanntes Wesen.

Die Technik auf dem Planeten verwirrt mich manchmal, weil ich eine mittelalterliche Welt vor Augen habe. Es gibt aber Radios und Motorfahrzeuge. Die beschriebene Welt hat in meiner Vorstellung dadurch einen steampunkigen Charakter.

Die Darstellung der beiden Länder Karhide und Orgota ist gut gemacht. In Zügen haben sie Ähnlichkeiten mit Systemen auf der Erde. In Karhide dreht sich alles um die Ehre, wie in arabischen Ländern. Orgotas Staatssystem hat etwas kommunistisches. Viel Bürokratie, alles wird kontrolliert, geht an dem Staat und jeder bekommt Arbeit, wenn auch nicht immer gleichwertige.

Die Rede über Nationalstolz von Estraven find ich sehr passend. Wie liebt man ein Land nur bis zu einer imaginären Grenzlinie? Das ist eine Frage, die sehr relevant ist, wenn es um Feindschaft aufgrund unterschiedlicher Kulturen geht. Ist der Nationalstolz vielleicht sogar der Urheber aller Zwiste? Würden wir friedlicher leben, ginge es nicht ständig um die Verteidigung von Mutter- oder Vaterland, einer imaginären Mauer, die es in der Realität eigentlich gar nicht gibt?

Das Buch ist eine interessante Mischung, teilweise Science Fiction, teilweise ein Politthriller, teilweise eine Expedition.

Der Gefangenentransport ist bitter. Die Beschreibung der nackten Menschen und ihrer Qualen ist sehr bildlich.

Résumé

Abgesehen von meinem Fazit, werde ich Punkte vergeben. Das wird allerdings anders aussehen, als üblich. Bei mir gibt es nämlich keine Sterne. Ich vergebe an meine Lektüre Federn und Tintenkleckse. Das Prinzip funktioniert ganz einfach. Für Aspekte, die mir besonders gut gefallen, gibt es eine Feder, für Schnitzer, über die ich nicht hinwegsehen kann, gibt es einen Klecks. So kann es durchaus passieren, dass ein Buch auch mal weder eine Feder noch einen Klecks bekommt.

Großartige Darstellung von grundlegenden gesellschaftlichen Problemen.

Das Geschlechterbild ist grauenvoll und die tollen Ideen werden leider in ein patriarchales Konstrukt gequetscht.

Fazit: Die Geschichte ist überraschend, kritisch, spannend, abenteuerlich und auch manchmal schrecklich. Die Ideen und Beschreibungen sind innovativ. Auch wenn der Science Fiction Anteil gering bleibt, ist der politische Thriller großartig. Wer darüber hinwegsehen kann, dass ein toller Ansatz für Mehrgeschlechtlichkeit der Vorherrschaft des Mannes unterworfen wird, kann großen Spaß am Lesen des Buches haben.

Weitere Meinungen zu „Die linke Hand der Dunkelheit“ findet ihr bei:
Literatopia
Fantasybuch

Die linke Hand der Dunkelheit las ich im Zusammenhang mit der Nornennetzchallenge zum Schuber #HiddenPowers. Hier der Link zu den Kurzmeinungen einiger Nornen.

Die nächste Rezension zu bedeutender Literatur von Autorinnen ist „Ich bin Malala“ von Malala Yousafzai.