Wie Barrieren aus der Bahn werfen – Legasthenie

Eigentlich wollte ich wöchentlich auf meinem YouTube Kanal ein Video posten. Mit den Aufnahmen meiner Streams habe ich genug Material. Die letzten Wochen klappte es auch recht gut. Jetzt bin ich ins Schlingern geraten. Zum einen liegt es daran, dass die Schulzeit wieder begonnen hat, was nach Homeschooling und den Sommerferien erneut eine große Umstellung des Tagesablaufs ist. Zum anderen – dem wesentlich wichtigeren Punkt – liegt das allerdings am Thema des als nächstes anstehenden Videos.

Ich drücke mich darum. Wieso?

Für meine Streams könnt ihr mir Themen vorschlagen. Ein solcher Vorschlag, war die Bitte einen Stream über das Schreiben mit Legasthenie zu machen. Damals dachte ich, warum nicht, kein Thema. Aber schon während des Streams merkte ich, wie viel mich das kostet. Ich bereue nicht, den Stream gemacht zu haben. Es ist mir wichtig und erscheint mir richtig schwierige Themen anzugehen. Was uns nicht betrifft, nehmen wir nicht unbedingt wahr. Aufklärung und Einbeziehung schafft Verständnis und Zusammenhalt. Allerdings hat mich das offene Reden über die Hürden, vor allem aus meiner Schulzeit, mit einem Trauma konfrontiert, das ich verdrängt habe. Nach der Schule fand ich für mich so viele Möglichkeiten meine alternative Wahrnehmung von Sprache und Schrift auszugleichen, so dass der Druck, den das unflexible Schulsystem mir aufgeladen hat, abnahm. Ich hatte das Glück an einen Punkt zu kommen, an dem mir meine Schwierigkeiten nicht einmal mehr auffielen. Der Stream hat all die vergessenen Probleme wieder aufgewühlt. Wenn ich das Video noch einmal ansehen muss, um es zu schneiden, wird mich das wieder was kosten.


Wie habe ich es geschafft trotz meiner Legasthenie Autorin zu werden und mit Sprache und Schrift zu arbeiten?

Hartes Training von Regeln, Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung, alternative Hilfsmittel (es lebe die Worterkennung) und Therapie, um mit dem zusätzlichen Druck zu leben.

Doch der Stream ist nicht der einzige Faktor, wieso ich aktuell wieder mit meiner Legasthenie kämpfe. Die Debatten um richtiges Gendern und gendergerechte Sprache, blockieren mich in meiner Arbeit. Nicht weil ich die Änderungswünsche nicht mittragen will, sondern weil ich es nicht kann. Leider gibt es noch keine Regeln, die ich beim Gendern lernen könnte, denn es wird von allen anders gehandhabt. Unterschiedliche Zeichen, unterschiedliche Begriffe und teilweise von der Grammatik vollkommen abweichende Konstruktionen.

Hier prallen die berechtigten Forderungen von einer Interessengruppe auf meine Fähigkeiten, wie eine Welle. Leider kann ich über sprachliche Barrieren nicht einfach so springen. Ich kann drum herum gehen, eventuell drübersteigen, aber das dauert wesentlich länger als bei Nichtlegasthenikern. Aufgrund der für mich fehlenden Grundvoraussetzung, der Einheitlichkeit, kann ich noch nicht einmal dazu ansetzen loszulaufen. Oftmals werden meine Schwierigkeiten, die neuen Anforderungen einzubinden und umzusetzen als willentliches missgendern ausgelegt. Es wird viel davon gesprochen, dass es einem nicht übelgenommen wird, wenn man es falsch macht, aber das gilt eben nicht für alle. Ich verstehe den Frust derer, die nicht als sie selbst wahrgenommen und benannt werden. Und der Druck wächst ohne, dass die Voraussetzungen geschaffen werden, die es mir möglich machen würden mitzumachen. Um mich selbst zu schützen, ziehe ich mich also zurück und umgehe solche Themen zunehmend, obwohl sie wichtig sind.

Der Trigger im Stream und die neue Veränderung in Sachen Sprache machen es mir schwer, mich mit dem Thema Legasthenie zu befassen. Es ist mir aber ein Anliegen, aufzuzeigen, wo Barrieren für Legastheniker stehen können, damit Raum für Verständnis geschaffen wird. Außerdem möchte ich Dir zeigen, dass du nicht weniger bist, nur weil ein Umstand deines Umgangs mit der Welt einen Namen bekommen hat. Auch als Legastheniker kann es deine Passion sein mit Sprache zu arbeiten. Lass dich davon nicht abhalten!

Ich erwarte nicht, dass alle jede Barriere sofort erkennen – vor allem, wenn man nicht betroffen ist. Das schaffe ich auch nicht. Das Leben ist so überfüllt mit Anforderungen. Aber ich hoffe darauf, dass mehr Menschen zuhören, lernen und umdenken, jedes Mal, wenn sie eine Barriere neu wahrnehmen. Und manchmal stehen auf beiden Seiten der Hürde Menschen. Bedenke das auch.

Wenn du Interesse am Video hast, dann klicke hier.