Buchrezension – Orlando

Orlando von Virginia Woolf

Klappentext: Virginia Woolfs bedeutendes Werk in neuer Übersetzung.
Diese Jahrhundete umspannende, kunstvolle Romanbiographie gehört zu den unvergänglichen Werken der Weltliteratur.

Genre: Gesellschaftsliteratur

An dieser Stelle möchte ich mich kurz bei all den Leuten bedanken, die Arbeit und Mühe in das Buch gesteckt haben. Unabhängig davon, wie ich das Buch persönlich bewerte, verdienen die künstlerischen Ambitionen Anerkennung. Dankeschön.

Cover

Da ich zu den Coverkäufern zähle, beschäftige ich mich auch mit der Frage, ob mich Cover ansprechen würden und zum Kauf verleiten.

Das Cover sieht nach dem aus, was Inhalt ist, eine verworrene literarische Geschichte. Demnach passt es gut. Ich hätte nicht danach gegriffen, weil es nicht meine Literatur ist, aber Leute zu denen die Geschichte passt, könnten durchaus durch das Cover angesprochen und richtig geleitet werden.

Inhalt

Der britische Adlige Orlando sucht seinen Platz und seine Bestimmung in der Welt. Enttäuschungen bringen ihn von einer Passion zur nächsten. Auf ungeklärte Weise ändert er dabei sein Geschlecht und lebt über mehrere Zeitalter hinweg.

Gedanken beim Lesen

Diese Kritik hat nur am Rande etwas mit meinem Gesamturteil über das Buch zu tun. Es sind spontane Emotionen und Eindrücke.

Ich mag die Passagen, in denen über Literatur philosophiert wird, weil sie so treffend sind. Wie etwa die Aussage, dass Grün in der Natur eine andere Sache sei, als Grün in der Literatur.

Die Unterhaltung mit dem Schriftsteller Green ist herrlich, denn auch wenn sie von der Zeit geprägt ist, sind viele Parallelen zu heute zu erkennen, wenn Autoren miteinander sprechen.
Die Schwierigkeit über das eigene Anliegen zu sprechen, wenn jeder seine eigenen Belange anbringen will, ist gut umgesetzt. Seine Meinung zu „den jungen Schriftstellern“, die nur noch Schund schreiben – dabei spricht er beim ersten Mal von Shakespeare – ist ein Spiegel der Worte, die jede alte Generation der jungen entgegenhält.

Orlando ist mir ein durch und durch unsympatischer Charakter. Er betitelt die Russin selbstherrlich als typisch weiblich wankelmütig und tritt dabei selbst betrügerisch seiner Verlobten gegenüber auf. Natürlich ist die Frau an seinem Unheil schuld. Nicht, dass er zuvor schon Zustände plötzlicher Melancholie hatte und sich im Liebestaumel selbst sein Grab bei Hof geschaufelt hat. Aber Orlando ist in den Augen der Adligen scheinbar eh nicht mehr als ein paar schöne Beine, so oft wie das erwähnt wird. Orlando findet keine andere Möglichkeit einen Bewerber in die Flucht zu schlagen, als eine Fliege umzunieten und zu betrügen. Charmant.

Das immer widerkehrende biblische Bildnis von Sittsamkeit und Tugend stört mich enorm. Die Liebe ist rein, die Lust viehisches Übel. Weiß ist rein, schwarz ist schlecht. Glatt ist gut, haarig scheußlich. Der Geier und der Rabe hässlich und von schlimmen Klang. Bodyshaming als Subtext gleich inklusive.

Die Geschichte enthält teils märchenhafte Elemente. So fällt Orlando sieben Tage ins Koma und fühlt sich dann nicht schwach. Auch die Wandlung des Geschlecht geschieht in so einem Märchenschlaf. Schön ist, wie selbstverständlich alle drumherum die Veränderung als gegeben sehen, als wäre es nicht relevant. Zunichte macht diese Botschaft allerdings Orlando selbst und auch die Wandlung des Verhaltens aller anderen. So wird die Wandlung an sich als selbstverständlich behandelt und nicht groß diskutiert, das betragen Orlando als Frau gegenüber ist allerings ungut. Schüchternheit wird als natürlich weiblich beschrieben. Kaum ist Orlando eine Frau, wird über Nachwuchs gesprochen. Als gäbe es keine andere Aufgabe für Frauen. Der Mann ist der Jäger, die Frau die Beute und Orlando durchfährt bei dem Gedanken auch noch ein wohliger Schauer. Diese ganze Beschreibung, dass das Verhalten der Frau dem Mann gegenüber ein Wechselspiel zwischen sträuben und nachgeben ist, hat mich etwas sprachlos zurückgelassen.
Die im Buch als “Mohren” und mit dem N-Wort betittelten PoC werden dumm dargestellt, nur gut um als Schrumpfkopf für Fechtübungen herzuhalten und als Dienerin hohlköpfig zu nicken. Entweder bin ich nicht dazu in der Lage die Refelektion zu diesen Äußerungen herauszulesen – an anderer Stelle werden solche Aussagen durchaus als Ironie deutlich – oder es sind tatsächlich Ansichten, die dem Jahrhundert geschuldet sind, in dem die Autorin selbst aufgewachsen ist.
Ich kann keinen Charakter leiden, die Ergüsse und negativen Bemerkungen über den Charakter der Frau sind langatmig und unangenehm, wie Frauen sind nur Kinder von geringem Wuchs. Solche Sätze werden im Ansatz dann ironisch kritisiert, aber Orlando umgibt sich ständig mit Leuten, die nichts anderes zu sinnieren haben, und das freiwillig.

Etwas verwirrend ist der Geschlechterwechsel verschiedener anderer Figuren, der doch ab und an recht plötzlich kommt. So ist die Herzogin plötzlich ein Herzog. Dabei sind die Geschlechterswitches für mich das einzig coole an dem Buch, weil Orlando dadurch überall hinkommt, Konventionen hinter sich lässt (allerdings nicht auf Dauer und ohne sie gegen andere einzutauschen) und es einfach selbstverständlich ist zu sein, als was Orlando sich fühlt.
Der Zeitablauf irritiert mich auch, weil er nicht immer ganz klar ist. Einmal sollen dreihundert Jahre vergangen sein, aber der Green lebt auch noch.

Résumé

Abgesehen von meinem Fazit, werde ich Punkte vergeben. Das wird allerdings anders aussehen, als üblich. Bei mir gibt es nämlich keine Sterne. Ich vergebe an meine Lektüre Federn und Tintenkleckse. Das Prinzip funktioniert ganz einfach. Für Aspekte, die mir besonders gut gefallen, gibt es eine Feder, für Schnitzer, über die ich nicht hinwegsehen kann, gibt es einen Klecks. So kann es durchaus passieren, dass ein Buch auch mal weder eine Feder noch einen Klecks bekommt.

Die biblische Symbolik von Sittsamkeit und Sünde missfällt mir.

Fazit: Ich fand das Buch sehr anstrengend zu lesen. Bezüglich der Leiden des Charakters, kann das Werk mühelos mit vergleichbaren Werken großer Literaten mithalten. Allerdings leidet es meiner Meinung nach an einer Häufung von unreflektierten Inhalten, die sexistisch und rassistisch sind. Als aktuelle unkritisch betrachtete Lektüre kann ich es nicht empfehlen.

Weitere Meinungen zu „Orlando“ findet ihr bei:
Bücherjaeger
Literatur im Fenster

Orlando las ich im Zusammenhang mit der Nornennetzchallenge zum Schuber #HiddenPowers. Hier der Link zu den Kurzmeinungen einiger Nornen.

Die nächste Rezension zu bedeutender Literatur von Autorinnen ist zu „Frankenstein“ von Mary Shelley.