Leseprobe „Gefesselt – Die Rückkehr“

2
Elf Jahre und sechs Monate nach Ausbruch

Sie standen in den zerbombten Schluchten eines Wohnkomplexes. Überall lagen zerfetzte Stücke eines Flugzeugrumpfs. Der vordere Teil ragte aufrecht aus dem Asphalt, als wollte die Maschine aus der Erde starten. Glas und Steinbrocken waren zwischen den Trümmern verteilt. Die Fronten der Häuser, die nicht zerstört worden waren, erhoben sich scharfkantig in den Himmel.
Gill war froh, seinen Helm zu tragen und nicht gegen den herrschenden Wind anblinzeln zu müssen. Neben ihm standen Charlie und Liam. Die Übrigen, die mit nach Paris gekommen waren, kauerten sich entweder hinter eine Deckung oder durchstöberten die Überreste.
Der Anblick des verwüsteten Komplexes war erschütternd. Er war nicht zugerichtet wie der Rest der Stadt, in der noch viele Häuser standen – verletzt und aufgebrochen, aber nicht vernichtet. Er war vollkommen zerstampft. Als klar geworden sein musste, dass das Gelände für die Firma nicht zu retten war, hatte sie es planiert.
„Hier ist nichts mehr zu holen“, sagte Hulk. Er schubste mit dem Lauf seines Gewehrs ein Stück Metall an. Es machte ein kratzendes Geräusch auf dem gesprungenen Asphalt. Sie alle zuckten zusammen und lauschten. Außer dem Wind, der heulend durch die Trümmer fegte, war nichts zu hören.
Zara drückte sich mit dem Mittelfinger den Tragus ins Ohr und wackelte damit hin und her. „Ich komme mir bei dem Gejaule vor wie umzingelt. Das klingt alles gleich.“
Das ständige Pfeifen machte es ihnen schwer, Infizierte zu hören. Kam der Wind aus der falschen Richtung, übertönte er alles. Kaum einer konnte zwischen Fresserstöhnen und Wetterheulen unterscheiden.
Robin, ein junges B-Invitromädchen, kaute nervös auf ihren Fingernägeln. Sie war die Einzige, die keine Waffe trug. Liam hatte sie ihr abgenommen, nachdem sie kurz nach ihrer Ankunft in Paris versehentlich auf die Scharfschützen geschossen und dadurch hunderte von Infizierten angelockt hatte.
„Das ist nur der Wind“, versuchte Gill, ihre Aufregung zu mildern.
Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an. Diesen Blick hatte er schon einmal gesehen, damals, als Hannah das Mädchen mit einer Waffe bedroht hatte. Doch dieser grauenvolle Moment lag hinter ihr.
„Du gewöhnst dich an die Angst.“ Gill drückte ihre Hand. „Und bis du dich unter Kontrolle hast, achten wir auf dich, keine Sorge.“
Sie nickte mechanisch. Ob sie ihn verstanden hatte, wusste er nicht genau. Doch er war zuversichtlich, dass sie sich nach und nach an die Gegebenheiten in Paris anpassen würde.
Er sah in den Himmel, beobachtete die Wolkentürme, die über sie hinwegrauschten. Ihre Schatten huschten über den Boden. Die Schemen der Ruinen wirkten wie Schlangen auf der Flucht vor ihnen.
„Lasst uns noch einen Blick in die beiden Gebäude werfen.“ Gill zeigte auf zwei Stahl- und Glaskonstruktionen, die halbwegs unbeschädigt zwischen den Trümmern aufragten.
Charlie betrachtete die Hochhäuser. Eine Hand lag auf ihrem dicken Babybauch, die andere hatte sie mit Liams verschränkt.
„Teilen wir uns auf“, sagte sie.
Niemand stellte es in Frage, dass sie das Kommando hatte. Charlie war die Beste im Überleben, furchtlos und mit einem hervorragenden Instinkt. Daran hatte die Schwangerschaft nichts geändert.
„Wir nehmen das Haus.“ Gill deutete auf das Gebäude, das weiter im Süden lag.
Es wirkte schwerer zu erreichen. Im näheren Umfeld standen keine anderen Bauwerke mehr. Mit dem Equipment, das Gills Leute dabeihatten, waren ihre Chancen besser, sich Zugang verschaffen zu können. Charlie und ihre Gruppe hatten es mit dem anderen Hochhaus leichter. In dessen Nähe stand ein Kran. Die Ruine gegenüber war mit den Resten eines Gerüsts verkleidet. Solange die Konstruktionen tragfähig waren, würden sich Charlies Traceure mit Leichtigkeit dort umschauen können.
Sie nickte zustimmend. „Dann los!“
Gill gab seiner Mannschaft das Zeichen zum Abzug. Die dunkelhäutige Invitro Rani, die eigentlich zu Liams Team gehörte, folgte ihm. Da sie schnell lernte und Hulk ihr die wichtigsten Handzeichen von Gill gezeigt hatte, störte es niemanden.
„Rani und ich nehmen die rechte Seite“, sagte Hulk.
Ken scherte daraufhin mit Zara auf die linke Flanke aus. Jeanne und Peter blieben bei Gill, während Sophia und Lance ihren Rücken deckten. Sie kamen nur langsam voran, da sie sich über das Geröll vorarbeiten mussten. Der untere Bereich des Zielobjekts war verschüttet. Teile der Steinlawine fraßen sich bis ins Erdgeschoss vor und drückten die Fenster ein.
Sie verschafften sich über die offen liegende Fassade im vierten Stock Zugang. Dort gab es monochrome, nüchterne Büros. Sie boten ein Bild der Panik und Verwüstung. Die Tische standen schief. Bildschirme waren von den Arbeitsplatten gestürzt. In einer Ecke lag ein herrenloser Schuh. Doch nach all den Jahren spürte Gill davon nichts mehr. Es war nur eine Erinnerung, wie sich die ersten Monate nach der Apokalypse angefühlt hatten. Mittlerweile war der Anblick Routine.
Im Flur lagen Teile der Einrichtung. Ein umgestürzter Aktenschrank, eine gesplitterte Tür. Es war dunkel und stickig.
„Lampen an“, flüsterte Gill.
In den Lichtkegeln ihrer Gewehrleuchten sahen sie rostrote Flecken auf dem Teppich und Schlieren an den Wänden. Gill trat auf etwas. Es knirschte. Als er den Fuß hob und den Boden beleuchtete, erkannte er einen Fingerknochen. Er war blank und schon alt. Nichts wies darauf hin, dass vor Kurzem jemand hier gewesen war.
Nach unten, signalisierte er.
Das Treppenhaus war weitestgehend intakt. Je weiter sie hinunterstiegen, desto schwerer wurde die Luft. Ein merkwürdiger Geruch mischte sich unter den Staub. Gill zuckte zusammen, als sein Funkgerät knackte. Schwer atmend nahm er es zur Hand und stellte es auf stumm. Dann drückte er die Sprechfunktaste.
„Ja?“
Es war Charlie, die sich meldete. „Wir konnten nicht mehr einsehen als das untere Stockwerk. Die Treppenhäuser und die Fahrstuhlschächte sind blockiert. Hier lebt keiner mehr. Wahrscheinlich bricht das ganze Gebäude bald zusammen.“
„Wir sind noch nicht fertig“, sagte Gill. „Wartet am Ausgangspunkt, wenn ihr könnt. Ansonsten sehen wir uns im Lager.“
„Okay.“
Gill steckte sich das Gerät wieder an die Weste. Sie kamen am Ende des Treppenhauses an eine schwere Tür. Jeanne öffnete sie vorsichtig einen Spalt breit. Keuchend hielten sich alle sofort die Hände vor den Mund. Der Geruch, der hinter der Tür hervorkam, war beißend. Es roch zu alkalisch für ein Vorratslager der Infizierten, aber eindeutig nach Leichen.
Gill nickte Jeanne zu, die die Tür ganz aufstieß. Er zog unter seinem Hemd ein Halstuch hervor, das er sich vor den Mund band. Die anderen taten es ihm gleich. Langsam drangen sie aus dem Treppenhaus vor.
Der flache Raum, der sich vor ihnen erstreckte, war gefliest. Er erinnerte Gill an ein Schwimmbad. Links von ihnen war ein Lastenaufzug. Schienen führten von ihm weg in den Raum hinein. Eine rollbare Mulde stand auf dem Gleis. Auf der rechten Seite waren Bedienfelder in die Wand eingelassen, stumm und glänzend wie schwarzer Teer.
Gill ging den anderen voran durch den großen Kachelraum. Die Schienen führten bis zu einem riesigen geschlossenen Tor. Zwischendurch zweigten sie einmal in einen Flur ab. Von dort kam der Geruch in dicken Schwaden.
Gill konnte nicht anders, als ihm entgegenzugehen. Sein Magen rebellierte, als er in den nächsten Raum trat. Vor ihm befand sich ein Becken, gefüllt mit einer merkwürdigen Substanz. Sie sah wie kotzgrünes Gelee aus.
„Ist das ein Bein?“ Lance schluckte schwer und beugte sich über das Becken.
Im gleichen Moment taumelte Ken nach hinten. Er hatte sich an den Beckenrand gehockt und die Spitze seines Gewehrlaufs in das Gelee gehalten. Zischend schmolz das Metall.
Gill durchschoss es heiß. Er riss den Jungen zurück.
Das ist das, was die Invitros Müllverwertungsanlage nennen. Liam hatte ihm davon erzählt. In solchen Anlagen wurden die mehr oder weniger toten Körper der Invitros entsorgt.
„Scheiße, was ist das?“, zischte Zara.
Rani sah über die glibberige Masse. „Das sind Tote.“ Sie ignorierte das Keuchen der anderen. „Wahrscheinlich ist der Abfluss mit der Masse an zersetztem Gewebe nicht klargekommen.“
Gill sah zur Decke und betrachtete die Düsen daran. Auch an den Wänden weiter hinten gab es einige. Er spürte deutlich seinen Fluchtinstinkt.
„Wieso hat es das Gewebe nicht vollkommen zersetzt?“, grübelte Zara. „Ich meine, es ist ein Jahrzehnt her. Selbst ohne den Säureglibber müssten die Leichen längst verwest sein.“
„Ach du Scheiße!“, rief Hulk.
Das widerhallende Geräusch ließ Gill hochfahren. Er drehte sich nach Hulk um. Der Hüne war in einen Nebenraum gegangen. Als sie ihm folgten, stießen sie auf Duschen und einen Haufen Skelette. Sie waren achtlos übereinandergeworfen worden. Kleiderfetzen hingen hie und da an den Knochen.
Peter ging näher heran und betrachtete einen Schädel. „Einschussloch. Die anderen auch.“
Zara nickte in Richtung Beckenraum. „Das war wohl der schnellste Weg, die Invitros loszuwerden, nachdem der Abfluss dicht war.“
„Lasst uns von hier verschwinden“, bat Sophia. „Wir wollten Überlebende suchen, und hier sind keine.“
Die anderen stimmten zu. Es war mehr eine Flucht als ein Rückzug. Selbst Gill lief ein Schauer über den Rücken, als würden ihn die Augen der Toten aus der trüben Masse anstarren. Hastig schloss er die schwere Tür hinter sich.

*

Rebecca sah zu der alten Eisenbahnbrücke. Rost bedeckte die Stahlelemente, Unkraut wucherte über die Schienen. Ein verlassener Zug stand mit offenen Türen mitten auf den Gleisen. Bewegungen waren keine zu sehen. Nur der Fluss strömte trüb unter der Brücke hindurch.
Gemeinsam mit den Invitros stand sie auf einem nahe gelegenen Dach. Icarus hielt sich an ihrer linken Seite, die Flügel eng an den Rücken gelegt, daneben sein Bruder Tauro. Eindrucksvoll ragten die Hörner über seinem maskierten Gesicht auf. Selkie kniete. Ihr feuchtes Robbenfell glänzte in der Sonne. Sie beobachtete die Fassaden der verwaisten Häuser sowie Lisette in ihrem Chass, dem Nanokampfanzug der Geneticstruppen. Der Anblick bescherte Rebecca ein Gefühl zwischen Nostalgie und Schrecken. Sie verband mit dem Hightechanzug zu viele Albträume.
Zu Rebeccas Rechten hatten sich Dillan, Cat in ihrer Tigergestalt, die Teleporterin Rachel und Bruce positioniert.
Mehr Invitros waren nicht übrig geblieben. Sieben von über dreihundert, die sich nach der Explosion von Distrikt 1 befreit hatten. Daran zu denken, schnürte Rebecca die Kehle zu.
Ihr Blick blieb an Dillan hängen. Wegen ihm waren sie heute hier und standen wie auf dem Präsentierteller, um die Geseco anzulocken. Wenn alles glattging, würden sie ihn in Reynells Truppe einschleusen. Es war eine Mission, deren Erfolg Rebecca erhoffte und gleichzeitig fürchtete. Sie würden Dillan lange nicht sehen, vielleicht auch nie wieder.
Er erwiderte ihren Blick. Zu ihrer Überraschung zwinkerte er ihr zu. Doch der kurze Anflug von Sympathie dauerte nicht lange.
Sie sah wieder zur Eisenbahnbrücke. In dem Moment bemerkte sie ein Flackern auf einem der Wagons.
„Es geht los.“
Schon blitzten die ersten Mündungsfeuer auf, als die getarnten Geseco vom Zugdach aus feuerten. Selkie legte ihre Arme um Icarus. Er ließ sich vom Dach fallen und breitete seine Schwingen aus. In einem weiten Bogen segelte er zur Brücke hinüber.
Rachel und Cat verschwanden ins Nichts. Gleich darauf erschienen sie auf dem Dach des Zuges. Der weiße Tiger schlug mit den Pranken nach einem flimmernden Fleck. Es sah aus, als würde er mit einem Schwarm Glühwürmchen tanzen, bis die Rüstung des Geseco sichtbar wurde. Das Tier nahm den Helm zwischen die Kiefer. Rebecca konnte es förmlich knirschen hören.
Ein weiterer Unsichtbarer stieß den Körper der Katze beiseite. Sie rutschte über das Dach hinunter. Rachel, die bis dahin geschossen hatte, löste sich auf. Bruce, der immer noch neben Rebecca stand, streckte die Hände aus. Als er drei Geseco vom Zug fegte, wurden sie kurz sichtbar.
Tauro wich ein Stück zurück, um Anlauf zu nehmen. Während er sprang, gaben Rebecca, Dillan und Lisette ihm Feuerschutz. Icarus zog nach oben, um dem Sperrfeuer auszuweichen. Sowie sein Bruder donnernd auf dem Blech gelandet war, ließ er Selkie fallen. Die Robbenfrau landete in Tauros Armen. Wieder auf den Füßen, packte sie sogleich einen Geseco, dessen Rüstung auf einer Seite Funken sprühte. Mit erstaunlicher Kraft warf sie sich mit ihm von der Brücke in den Fluss.
Das war der leichte Teil.
Tauro schlug mit der Faust nach einem weiteren Angreifer, der sich zu ihm umgewandt hatte. Auch seine Tarnung war nicht mehr intakt. Wie ein Geist huschte sein Schatten umher.
Rachel tauchte auf, ergriff Dillans Hand, und weg waren sie.
„Wir sind dran.“ Rebecca rannte mit Lisette los und zog einen Auslöser aus ihrer Tasche. Als sie draufdrückte, gab es in der Nähe eine Explosion. Ein Baukran stürzte um. Er krachte auf das Dach, über das sie rannten. Steine und Ziegel flogen umher, doch der Kran hinterließ keinen großen Schaden. Er legte sich über die Straßenschlucht zwischen dem Haus und den Stahlstreben der Brücke. Rebecca und Lisette kletterten rauf.
Icarus flog zu ihnen. Er packte sie jeweils an einer Hand und trug sie das letzte Stück. Dann ließ er sie einen Meter über den Schienen fallen.
Rebecca roch Staub und Blut. Sie packte ihr Gewehr. Sogleich musste sie einen Mann abwehren, der mit seiner leeren Waffe scheinbar aus dem Nichts nach ihr hieb. Er war immer noch getarnt, aber seine knirschenden Stiefel verrieten ihn.
„Dieses Mal töte ich dich!“
Reynells Stimme zu hören, ließ sie sich innerlich leer fühlen. Es machte sie effektiver, präziser, tödlicher. Sie grinste und sprang einen Schritt zurück.
Da bist du ja.
Das Messer, das er ihr in den Körper rammen wollte, ritzte nur die Haut auf ihrem Bauch an. Es blutete nicht mal.
„Du brauchst einen neuen Trick, wenn du gewinnen willst“, sagte sie.
Er enttarnte sich und zog sich den Helm von den fettigen Haaren. Dann entblößte er seine vergilbten Zähne zu einem wölfischen Grinsen.
Sie schoss auf ihn. Er warf sich durch eine offene Tür in den Zug. Langsam schlich sie näher und drückte sich gegen das kalte Metall der Außenhaut. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Bevor sie sich schwungvoll herumdrehen konnte, um in den Wagen zu schießen, hörte sie ein Geräusch neben sich. Sie rammte ihren Ellenbogen zur Seite. Dabei erwischte sie Reynells Gesicht. Er musste nach seinem Sprung in den Wagon aus der nächsten Tür wieder ausgestiegen sein.
Rebecca trat nach der Hand, in der er ein Messer hielt. Es fiel klirrend zu Boden. Reynell warf sich auf Rebecca. Sie rollten über die zugewachsenen Gleise. Er war stärker als sie, aber der Chass schränkte ihn in seiner Bewegungsfreiheit ein. Sie dagegen war wendiger, und es war nicht das erste Mal, dass sie sich mit einem Geseco auf dem Boden wälzte. Sie wand sich unter ihm heraus und sprang auf. Er packte sie am Knöchel, sie schlug wieder hin. Ihr Fuß traf ihn ins Gesicht. Sie hörte, wie seine Nase brach.
„Eins zu eins“, fauchte sie und rappelte sich auf.
Er kam ebenfalls auf die Beine. Blut rann über seinen Handschuh, den er sich ins Gesicht hielt. Sein Blick war mörderisch.
„Eins zu eins“, grollte er und schlug sich auf die linke Seite. Dort hatte er Rebecca vor Ewigkeiten sein Messer hineingerammt.
Plötzlich erklang ein Warnruf von Icarus. Infizierte näherten sich. Es musste eine Gruppe von außerhalb sein, die der Hunger in die Stadt trieb.
Reynell hob sein leeres Gewehr auf. Er richtete es auf Icarus und imitierte das Geräusch eines Schusses. Dann sah er zu Rebecca. „Bis nächstes Mal, Baby.“
Er ließ sein gammliges Grinsen sehen, stieß einen schrillen Pfiff aus und ging rückwärts davon. Fluktuierende Schatten und enttarnte Geseco folgten ihm. Geseco überließen es zu gerne den Invitros, ihren Kopf beim Kampf gegen die Fleischfresser hinzuhalten.
Rebecca sah sich nach ihren Freunden um. Icarus war auf dem Dach des Zuges gelandet und hatte Cat und Tauro neben sich. Lisette und Dillan kletterten über den Kran zu Bruce zurück. Ihre automatischen Waffen hingen an den Gurten um ihre Schultern. Als sie drüben waren, wandte sich Dillan um und drehte fragend seine Hand. Hatten sie einen Chass gesichert, mit dem er sich verkleiden konnte?
Rebecca sah sich suchend nach Selkie um. Sie schwamm im Wasser. Lediglich der obere Teil ihres Schädels sah heraus. Als sie Rebeccas Blick spürte, tauchte sie weiter auf und fuhr sich mit der Handkante über die Kehle. Der Kerl, den sie unter Wasser gezogen hatte, war tot. Einen besseren Moment, um Dillan mit ihm auszutauschen, gab es nicht. Reynell und seine Leute waren noch nicht weit weg.
Energisch signalisierte sie Dillan, Reynell zu folgen. Sie hatten keine Zeit, den Toten aus dem Wasser zu fischen und auszuziehen. Um die Verkleidung für Dillan musste sich Rachel mit ihren Teleporterfähigkeiten kümmern, während er sich an die Verfolgung der Geseco machte.
Dillan nickte und lief los. Während er sich bewegte, veränderte sich seine Form, und als Rebecca blinzelte, sah sie im nächsten Augenblick einen Geseco über die Dächer rennen. Rachel hatte ihm den Kampfanzug des Toten im Laufen übergestülpt. Die Fähigkeiten der Invitro waren beeindruckend.
Unvermittelt tauchte Rachel neben Rebecca auf. In den Armen trug sie eine Biorub-Flasche. Die Infizierten, die sie mit den aggressiven Nanos vernichten mussten, hatte Rebecca vollkommen vergessen. Der Rausch, gegen Reynell gewonnen zu haben, lenkte sie ab. Verlegen nahm sie die Flasche von Rachel entgegen und hievte sie sich auf den Rücken.
„Ich hole noch eine“, sagte die Teleporterin.
Rebecca nickte und lief mit ihrer Last zu der Stelle, wo Icarus auf dem Zug hockte. Tauro langte nach unten und zog sie hoch. Dann flog sie mit Icarus los.
Er hatte seine Arme um ihren Bauch geschlungen. Die kalte Flasche auf ihrem Rücken war zwischen ihnen. Es kostete sie ungeheure Kraft, nicht dazuhängen wie ein Sack, sondern ihren Körper soweit unter Spannung zu halten, dass sie wie in einem Drachenflieger lag. Mit zusammengebissenen Zähnen positionierte sie das Sprührohr und legte den Finger auf den Abzug.
Neben ihnen rannten Bruce und Lisette auf den Dächern entlang. Als sie die Gruppe Infizierter erreichten, die sich witternd ihren Weg durch die Straßen bahnte, eröffneten sie das Feuer. Sie wollten so viele wie möglich töten, bevor ihre Körper geschmolzen wurden. Es war zwar keine effiziente Nutzung von Munition, doch gut für ihr Seelenheil.
Icarus flog zwei Schleifen. Dann ging er tiefer, und Rebecca versprühte das Biorub. Qualvolles Heulen erklang. Drei der rauchenden Kreaturen versuchten, zu flüchten. Es würde ein entsetzlich langsamer Tod werden, wenn es ihnen gelang. Doch Bruce warf den Boden auf und zermalmte sie unter den Gesteinsmassen. Lisette schoss auf die qualmenden Leiber der Übrigen, bis es still wurde. Es war keine erlösende Stille, es war das hässliche Schweigen des Todes.