Buchrezension – Die Bestimmung 1

Die Bestimmung von Veronica Roth

Klappentext: Altruan – die Selbstlosen. Candor – die Freimütigen. Ken – die Wissenden. Amite – die Friedfertigen. Und schließlich Ferox – die Furchtlosen …
Fünf Fraktionen, fünf völlig verschiedene Lebensformen sind es, zwischen denen Beatrice, wie alle Sechzehnjährigen ihrer Welt, wählen muss. Ihre Entscheidung wird ihr gesamtes künftiges Leben bestimmen, denn die Fraktion, der sie sich anschließt, gilt fortan als ihre Familie.
Doch der Eignungstest, der über Beatrices innere Bestimmung Auskunft geben soll, zeigt kein eindeutiges Ergebnis. Sie ist eine Unbestimmte, sie trägt mehrere widerstreitende Begabungen in sich. Damit gilt sie als Gefahr für die Gemeinschaft.
Beatrice entscheidet sich, ihre bisherige Fraktion, die Altruan, zu verlassen, und schließt sich den wagemutigen Ferox an. Dort aber gerät sie ins Zentrum eines Konflikts, der nicht nur ihr Leben, sondern auch das all derer, die sie liebt, bedroht…

Genre: Science Fiction, Dystopie

Achtung, sensibler Inhalt! Folter, Nötigung, extreme Gewalt, Selbstmord.

An dieser Stelle möchte ich mich kurz bei all den Leuten bedanken, die Arbeit und Mühe in das Buch gesteckt haben. Unabhängig davon, wie ich das Buch persönlich bewerte, verdienen die künstlerischen Ambitionen Anerkennung. Dankeschön.

Cover

Da ich zu den Coverkäufern zähle, beschäftige ich mich auch mit der Frage, ob mich Cover ansprechen würden und zum Kauf verleiten.

Ich liebe das Cover. Es ist schlicht, aber das Symbol der einen Fraktion ist ein Hingucker. Die Farben sind sehr gut gewählt, mit der Stadt im Hintergrund und der grünblauen Optik, die einen Eindruck davon vermittelt, wie sich die Natur ihren Raum zurückholt. Im Regal würde ich nach dem Buch alleine schon wegen des Covers greifen.

Inhalt

Beatrice lebt in Chicago, der scheinbar letzten Stadt auf der Erde. Alle Einwohner arbeiten in einem strengen System von fünf Fraktionen, die eine Eigenschaft besonders hochhalten, die Ferox den Mut, die Altruan die Selbstlosigkeit, die Ken die Gelehrsamkeit, die Candor die Wahrheitstreue und die Amite die Friedfertigkeit. Alle Fraktionen haben ihre Aufgaben, von Landwirtschaft über die Wissenschaft bis hin zum Regierungsapparat. Beatrice und ihr Bruder Caleb müssen sich in ihrer Zeremonie für eine Fraktion entscheiden, in der sie ihr künftiges Leben verbringen werden. Beide wechseln, Caleb zu den Ken und Beatrice zu den Ferox. Doch die tollkühne Fraktion von der Beatrice geträumt hat, entpuppt sich als ganz anders als erwartet. Das Fraktionssystem verändert sich. Eine Intrige und ein politischer Umsturz drohen, die das Leben aller verändern werden.

Perspektive

Es ist ein Personaler Erzähler. Wir erleben die Geschichte aus der Sicht der Figuren und wissen nur das, was sie sehen und denken.

Der Text ist in der Ersten Person im Präsens geschrieben, wie es bei aktuellen Jugenddystopien gerne gehandhabt wird.

Wir erleben die Handlung aus Tris Sicht.

Gedanken beim Lesen

Diese Kritik hat nur am Rande etwas mit meinem Gesamturteil über das Buch zu tun. Es sind spontane Emotionen und Eindrücke.

Die Geschichte beginnt in einer Situation, die wir alle kennen. Beatrice befindet sich vor ihrem Abschluss der Schule, dem Abschluss ihres Daseins als junges Mädchen. Ihre Prüfung steht bevor, mit der sie ins Leben einer Erwachsenen eintritt. Ängste, Gedanken und Unentschlossenheit was ihre Wahl für die Zukunft angeht, ist etwas Greifbares, Bekanntes, dass uns auf vertrauten Wegen in die unbekannte Welt hineinführt. Das finde ich sehr durchdacht.

Das Fraktionssystem ist ein sehr interessantes Konstrukt. Als wären alle Menschen auf einen bestimmten inneren Kern reduzierbar. Die Strenge mit der die Fraktionen voneinander ferngehalten werden, die Erkenntnis, dass Fraktionswechsler nicht gerne gesehen und auch abfällig behandelt werden, die Offenbarung, wie Fraktionswahl durchaus auch von anderen Umständen als der inneren Programmierung gelenkt werden, das alles zeigt sehr subtil, wie wenig das System eigentlich funktioniert, wie es soll. Das baut auf filigrane Art und Weise sehr gut auf, wieso die Fraktionen nicht mehr sind, was sie eigentlich sein sollten, wie es dazu kommt, dass alles entgleist.

Ich konnte es mir nicht verkneifen und musste nachsehen, wie die Fraktionen in Englisch heißen, denn die Namen passten manchmal sehr gut – Altruan für Altruismus – und manchmal so gar nicht. Was soll Ken heißen? Und im englischen sich die Namen tatsächlich parallel zu den bevorzugten Charaktereigenschaften der jeweiligen Fraktion. Die Altruan sind Abnegation = Ablehnung – was ich etwas hart finde, da gefällt mir die Altruismusidee besser). Die Amite sind Amity, was passend Freundschaft heißt, die Ferox Dauntless = Unerschrocken, Candor sind Candor = Offenheit, die Ken heißen Erudite = Gelehrt. Ich frage mich, wer für die Umbenennung im Deutschen zuständig war, manche Namen änderte, andere nicht. An der Stelle hätte ich mir etwas mehr Detailverliebtheit für die Kleinigkeiten gewünscht.

Die Fraktionslosen sind ein weiteres Puzzleteil. Sie scheinen wenige und unorganisiert zu sein, Hunger zu leiden und die schlechtesten Arbeiten zu bekommen. Aber sie sind da und stellen alles in Frage, dadurch, dass sie nirgendwo hin zu passen scheinen.

Und dann die Enthüllung, dass es Unbestimmte gibt, wie Beatrice, die in mehrere Fraktionen passen. Alleine schon, wie gefährlich es ist unbestimmt zu sein, es geheim halten zu müssen, ist ein Indiz für die Instabilität des Gesellschaftskonstrukts.

Interessant im voneinander stark abgegrenzten System ist auch die einseitige Darstellung der Motive der Fraktionen. Als wären sie eine homogene Maße, in der alle das gleiche denken, fühlen und machen. Die Ken sind ein Feindbild für den Leser. Es gibt zu Beginn keine Ausnahmen, so wie die Altruan das Feindbild der Ken sind. Individuen werden zu einer Einheit gemacht, ein Prinzip, das auch in unserer realen Welt gerne benutzt wird, wenn die … alle in einen Topf geworfen werden, nur weil die Mehrheit oder die Anführer einen bestimmten Weg oder eine bestimmte Ideologie vertreten.

Das ganze wird durch Beatrice Freunde aufgebrochen. Als sie zu den Ferox wechselt, hat sie plötzlich mit anderen Fraktionswechslern zu tun. Besonders wichtig ist dabei Will, der bei den Ken war, Wissen sehr schätzt, aber ein lieber Kerl ist.

Sehr negativ ist mir die Stigmatisierung von Al aufgefallen. Er ist ein großer, starker junger Mann, der im inneren sensibel und friedfertig ist. Das wird dargestellt als könne er deshalb nur schwach sein. Tris (sie kürzt Beatrice ab, nach dem Wechsel ihrer Fraktion) Gedanken darüber, was er für eine Memme ist, weil er Nachts weint, sind sehr abfällig formuliert und gehen weit über die Botschaft hinaus, dass bei den Ferox eine Maske der Gefühllosigkeit gewollt wird. Vor allem weil Al sich als einziger mit stillem Protest gegen die grausamen Ausbildungsmethoden zur Wehr setzt, die bei den Ferox Einzu gehalten haben. Er könnte im Kampftraining jeden zu Mus machen, aber da er das nicht für Stärke hält, lässt er es sein und steckt selbst ein. Das der Hauptcharakter ihn dafür verurteilt, angewidert an ihn denkt, erscheint mir wie eine Erniedrigung von gefühlvollen Männern und der inneren Stärke gegenüber roher Gewalt. Das mochte ich gar nicht.

Die Methoden der Simulationen und der Ausbildung bei den Ferox sind ebenfalls sehr gewaltvoll. Es werden Test gemacht, ob Kandidaten einen Hund füttern oder erstechen würden, Konfrontationszwang mit den eigenen Urängsten ist die Basis. Bei den Ferox müssen die Kandidaten das wieder und wieder erleben. Selbstmord ist bei ihnen keine Seltenheit. Das finden die Charaktere zwar schrecklich, aber reflektiert wird dieser Inhalt fast gar nicht. Auch das hat mir nicht gefallen, da es keinen Zusammenhang mit der negativen Veränderung innerhalb der Fraktionen hat, die durchaus als problematisch beschrieben wird. Es ist einfach so.

Ich bin sehr froh, dass es in der Geschichte auch tolle Charaktere wie Uriah gibt, einen gebürtigen Ferox, uns Szenen, die sich mit der Freude am Leben und der daraus resultierenden Tollkühnheit der Ferox beschäftigen. Das gleicht die schweren Momente und die viele Brutalität ein wenig aus.

Die Beziehung von Tris und Four ist leider auch nicht gelungen, meine ich. Sie kommt mir toxisch vor, ein leider bevorzugtes Konzept bei Jugendbüchern. Das Problem an der Darstellung ist die Vermischung von Angstgefühlen und Anziehung, die Tris Four gegenüber empfindet. Er schüchtert sie ein oder sie fühlt sich bedroht, aber im nächsten Moment berührt er sie und ihr klopft das Herz begeistert. Zusätzlich äußert sie ständig, dass sie es nicht wert sei, von ihm geliebt zu werden. Diese negativen Gedanken erfüllen keinen Nutzen, außer Tris klein zu machen und hätten Problemlos voneinander getrennt werden können. Sehr schade.

Im Allgemeinen werden Geschlechterrollen in der Geschichte nicht gegeneinander aufgewogen. Das hat mir sehr gut gefallen, dass es bei den Ferox nicht hauptsächlich Männer gab und bei den Amite lauter Frauen. Es kommt gut rüber, dass jeder als Mensch entscheidet, was er machen möchte und nicht als Geschlechterrollenklischee.
Um so mehr stach für mich die eine Szene raus, als Tris Freundin Christina mit ihr über einen Jungen reden wollte und sie einleitend bat, doch bitte mal kurz ein richtiges Mädchen zu sein. Als Tris dann der Erwartungshaltung entsprechend neugierig und begeistert reagierte, als es ums Küssen ging, attestierte ihr Christina ja doch ein richtiges Mädchen zu sein. Das ist ein Rollenklischeeerhaltender Inhalt, der in einer ansonsten relativ vorurteilfreien Welt in Bezug auf Geschlechterverhalten extrem negativ auffällt, auch wenn es nur ein winziger Moment in der Geschichte ist.

Der Fortlauf der Geschichte und wie sich die anfänglich nur erahnten Schwierigkeiten ausweiten, Tris Problem mit der eigenen Unbestimmtheit zu einer Angelegenheit für die ganze Gesellschaft wird, ist pfiffig aufgebaut. Ereignisketten die nicht sichtbar ablaufen, aber durch Hinweise mit Tris geteilt werden, verschaffen uns Leser einen guten Überblick, was wieso passiert und nehmen uns in der Handlung wunderbar mit. Das die Anführerin der Ken, Jeanine wenig und erst spät auftritt, finde ich logisch. Tris ist keine hochrangige Person, hat mit der Führungsetage nichts zu tun.

Leider kam bei Jeanines großem Auftritt wieder ein grober Schnitzer in der Darstellung von Charakteren vor. Die ansonsten relativ wertfreie Beschreibung von Personen sprang in zwei drei Sätzen zu Bodyshaming. Die als intrigant und böse Dargestellte Antagonistin suhlt sich in ihren üblen Plänen und Tris fällt auf, dass sie einen Fettansatz am Bauch hat und Dehnungsstreifen am Bein. Eine sehr ungute Verknüpfung, die nichts anderes bewirkt, als dass alle Frauen mit Fettpolster oder Dehnungsstreifen, diese als Makel präsentiert bekommen.

Besonders gut gelungen ist die Veränderung der Betrachtungsweise der Charaktere. Sind zu Beginn alle Fraktionsmitglieder einer Fraktion gleich, gibt es keine Ausnahmen, so sind die Personen gegen Ende Individuen, die aus dem Muster ausbrechen. Nicht nur Unbestimmte passen nicht ins System, auch alle anderen können sich entscheiden, was sie möchten. Gerade dadurch wird Jeanines Plan, alle mithilfe von Drogen zu kontrollieren griffig und einleuchtend. Sie will keine Veränderung.

Résumé

Abgesehen von meinem Fazit, werde ich Punkte vergeben. Das wird allerdings anders aussehen, als üblich. Bei mir gibt es nämlich keine Sterne. Ich vergebe an meine Lektüre Federn und Tintenkleckse. Das Prinzip funktioniert ganz einfach. Für Aspekte, die mir besonders gut gefallen, gibt es eine Feder, für Schnitzer, über die ich nicht hinwegsehen kann, gibt es einen Klecks. So kann es durchaus passieren, dass ein Buch auch mal weder eine Feder noch einen Klecks bekommt.

Das Fraktionssystem ist eine gut ausgearbeitete Idee einer Gesellschaftsform.

Die kleinen toxischen Schnitzer in der Darstellung, tun ganz schön weh.

Fazit:

Das Buch ist eine rasante, actionreiche Geschichte, die sich spannend lesen lässt. Bis auf einige unschöne Aspekte sind die Figuren facettenreich und gut gelungen. Besonders schön ist die Idee einer letzten Stadt in einer verfallenden Welt und einem System, dass uns fremd vorkommt, aber für die Bewohner von Chicago so einleuchtend ist, wie unsere Gesellschaftsordnung in unserer Realität. Der Stimmungswandel von gespannter Vorfreude zu düsterem Entsetzen ist packend. Dystopieliebhaber werden die Geschichte mögen.

Weitere Meinungen zu „Titel“ findet ihr bei:
Katjas Welt Book
Sarah Ricchizzi
Literaturschock

Vergleich mit dem Film:
Rezension zum Film (folgt)
Der Film ist dem Buch sehr ähnlich.
Der Film beginnt mit einem Blick auf die verwachsene Außenwelt und den Zaun. Im Buch beginnt die Geschichte in der Stadt mit Beatrice und ihrem Gefühlsleben.
Die Darstellung der Altruan ist im Film wesentlich trostloser, als Beatrice Beschreibung der zwar spartanischen aber gemütlichen Situation.
Jeanine wird schnell und intensiv in die Handlung des Films eingebaut, währen sie im Buch lange nur ein Name ist.
Die Belegschaft des Buches ist für den Film reduziert. Das führt zu weniger Vielfalt und der Streichung diverser kleiner Inhalte.
Von den Unbestimmten wissen im Film alle, im Buch ist es nur Betroffenen bekannt, dass es Menschen gibt, die zu mehreren Fraktionen passen.
Tris soll die Ferox verlassen, nachdem Peter sie verprügelt hat. Sie ändert ihr Schicksal aber durch Tatendrang und Erfolg beim Paintball. Im Buch sie nicht rausgeschmissen worden, nur verletzt beim Spiel.
Capture the Flag erscheint im Buch wie ein Spiel. Durch die Geschosse mit Schmerzstimmulanzien, die echte Schussverletzungen simmulieren sollen, ist das Spiel im Film fast wie Krieg.
Im Buch spielen Neid, Missgunst und Misstrauen zwischen Triss und ihren Freunden immer wieder eine Rolle. Das fällt im Film komplett weg.
Der Liebesbeziehung zwischen Tris und Four fehlt das toxische Furcht und Schrecken Element aus dem Buch.
Als Tris zu Caleb geht, geschieht im Film daraufhin nichts weiter. Im Buch ist ihr Ausflug ein Regelverstoß mit Folgen.
Im Film treten andere Unbestimmte sichtbar auf, im Buch sehen wir keine anderen.
Jeanine wird dazu gezwungen die Simulation zu beenden, Tris und Four machen es nicht selbst wie im Buch.

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